Transkript

00:00:00: Fallakte 4034, der Kurparkmord. Geschrieben von Nikolas Henne. Produziert von Fund Music.

00:00:13: Für Kugelsicher, der Copcast der Polizei Hessen.

00:00:17: Henning hasste den Geruch, der in den weiß gefließten Räumen herrschte.

00:00:24: Selbst die kalten Temperaturen konnten nicht viel dagegen ausrichten,

00:00:28: auch wenn es im Sommer deutlich schlimmer war.

00:00:30: Während die Angestellten der Gerichtsmedizin unbeeindruckt miteinander plauderten

00:00:34: und nebenbei ihre Utensilien vorbereiteten,

00:00:37: saß er am Küchentisch des Sozialraums und versuchte den beißenden Geruch zu verdrängen.

00:00:43: Er war ausnahmsweise nicht für eine Obduktion hier,

00:00:46: sondern wartete auf den Leiter der Gerichtsmedizin, Prof. Dr. Guido Zwingenberg,

00:00:51: der ihm die Obduktionsergebnisse versprochen hatte.

00:00:53: Mit fast einer halben Stunde Verspätung kam er die Treppenstufen hinuntergestapft

00:00:58: und zog sich seine Schutzkleidung über.

00:01:00: Ach, Herr Bachmann, bitte entschuldigen Sie meine Verspätung.

00:01:04: Sie können sich gar nicht vorstellen, wie schwer es ist, durch den Berufsverkehr zu gelangen,

00:01:08: während der öffentliche Nahverkehr streikt.

00:01:10: Unvorstellbar, lieber Herr Bachmann, wirklich unvorstellbar.

00:01:14: Henning verkniff sich einen plumpen Spruch, der ihm auf der Zunge lag.

00:01:18: Auch er hatte ungefähr dreimal so lange gebraucht als sonst.

00:01:21: Nur dass er selbst aus Wiesbaden nach Frankfurt fahren musste,

00:01:25: während der Gerichtsmediziner seines Wissens nach nur einige Blöcke weiter wohnte,

00:01:29: die man auch mit dem Fahrrad zurücklegen konnte.

00:01:32: Er stand wortlos auf und nickte dem kurz gewachsenen Mann zu, der auf ihn zutrat.

00:01:37: Sein schütteres Haar verriet sein Alter ohne jegliches Erbarmen

00:01:41: und bei seinem schleichenden Gang wunderte sich Henning jedes Mal,

00:01:44: dass er dem Job als Gerichtsmediziner überhaupt noch gewachsen war.

00:01:48: Aber wenn es so weit war, brachte er eine außergewöhnliche Kraft auf

00:01:52: und händelte die Obduktionen mühelos.

00:01:54: Zum Glück haben wir es beide geschafft anzukommen.

00:01:57: Wir sind zwingend auf ihre Ergebnisse angewiesen.

00:02:00: Haben Sie etwas Besonderes gefunden, das uns weiterhelfen könnte?

00:02:03: Guido Zwingenberg wühlte mit seinen wulstigen Fingern zwischen den Unterlagen,

00:02:07: die sich auf seinem Schreibtisch stapelten und zog zwei Umschläge hervor.

00:02:11: Ach, da sind sie ja. Bitte schön.

00:02:14: Ich finde, diesmal sind mir die Beschreibung sehr gut gelungen.

00:02:17: Letztes Mal hatte sich die Staatsanwaltschaft erneut über mein detailliertes,

00:02:20: medizinisches Fachvokabular eschuffiert.

00:02:23: Henning blätterte in den Berichten, während er ihn weiter ausführen ließ.

00:02:27: Die Todesursachen wurden von ihrem Werten, Herrn Kollegen Schindler, einwandfrei eingeschätzt.

00:02:33: Der Herr hätte einen wunderbaren Gerichtsmediziner abgegeben,

00:02:36: hätte er bloß Medizin studiert.

00:02:39: Frau Petersen wurde in der Tat stranguliert.

00:02:42: Die Postmortem ausgebildeten Strangulationsmale,

00:02:45: die zumeist erst Stunden oder Tage später sichtbar werden,

00:02:48: weisen darauf hin, dass es keine Tatwaffe gab.

00:02:51: Der Täter hat sie mit bloßen Händen erwirkt.

00:02:53: Und zwar von vorne.

00:02:55: Die Daumen haben deutliche Abdrücken im Bereich des Schlüsselbeins vorgesagt.

00:02:58: Zudem liegen keine Hinweise auf einen Sexualdelikt vor.

00:03:01: Allerdings gibt es einen nicht zu vernachlässigenden Hinweis

00:03:05: auf eine persönliche Beziehung zum Täter.

00:03:07: Henning wurde hellhörig und legte die Akten beiseite,

00:03:10: in denen auch die Bilder der Obduktion farblich abgebildet waren.

00:03:14: Auch daran hatte er sich neben dem Geruch nach all den Jahren noch nicht gewöhnt.

00:03:18: Wir haben festgestellt, dass ein Büschel ihrer Kopfhare

00:03:21: feinsäuberlich abgeschnitten wurde.

00:03:23: Soweit ich es mit meinem polizeilichen Fachwissen,

00:03:26: dass ich regelmäßig bei ihren Plaudereien aufschnappen darf,

00:03:29: beurteilen kann, liegt ja eine emotionale Fixierung auf das Opfer vor,

00:03:33: die vermutlich auf eine frühere Ablehnung zurückzuführen ist.

00:03:37: Ihre Wertenexperten der operativen Fallanalyse

00:03:40: haben wunderbare Methoden, um mit diesem Hinweis ein Muster zu erstellen.

00:03:43: Das dürfte in Helfen den Kreis der Verdächtigen einzuschränken.

00:03:46: Für einen kurzen Augenblick verspürte Henning den Drang,

00:03:49: sich für die Berichte zu bedanken

00:03:51: und ohne weitere Erklärungen den Raum zu verlassen.

00:03:54: Aber Prof. Dr. Zwingenberg war eine Kurifere auf seinem Fachgebiet.

00:03:58: Weshalb er gelernt hatte, seine verbalen Ausschweifungen zu ertragen.

00:04:02: Dieser bekam von seinem Groll ohnehin wenig mit und fuhr unbeirrt weiter fort.

00:04:07: Was das zweite Opfer angeht, Herr Reichmann, wird es sehr interessant.

00:04:11: Ich möchte beinah sagen, geradezu aufregend.

00:04:14: Auch hier hat Herr Schindler vorzügliche Arbeit geleistet.

00:04:17: Allerdings konnte er verständlicherweise nicht einschätzen,

00:04:20: aus welcher Distanz der Schuss abgegeben wurde.

00:04:22: Aus dem Bericht von Herrn Schindler ist zu entnehmen,

00:04:25: dass keine Schmau-Spuren im Wagen gefunden wurden.

00:04:27: Dasselbe trifft auf die Kleidung und den Körper von Herrn Reichmann zu.

00:04:31: Demnach ist ein Schuss aus kurzer Distanz

00:04:33: und in dem Innenraum des Sportwagens auszuschließen.

00:04:36: Habe ich Ihnen eigentlich schon einmal erzählt, dass ich einen ähnlichen Wagen fahre?

00:04:41: Das neuere Modell der erste mit Hybrid-Antrieb.

00:04:44: Ideal für die Warn-Entausflüge mit meinen drei Enkelkindern.

00:04:49: Aber bitte entschuldigen Sie, ich schweife ab.

00:04:52: Die Tür am anderen Ende des Flures stand auf einmal verlockend weit offen.

00:04:56: Und der Umstand, dass nebenan gerade mit einer Obduktion begonnen wurde,

00:05:00: wäre ein weiterer Grund gewesen, sich umzudrehen und zu gehen.

00:05:03: Aber auch dieses Mal blieb Henning standhaft.

00:05:06: Die Distanz des Schusses bedruck also je nach Waffe und Windverhältnis

00:05:09: mindestens zwei bis drei Meter.

00:05:11: Die Antrittswund ist allerdings selbst für diese Entfernung außergewöhnlich klein.

00:05:15: So dass wir es mit einer Schussabgabe aus weiterer Entfernung zu tun haben.

00:05:20: Das Problem ist nur, die Gegebenheiten vor Ort stimmen mit dieser Annahme nicht überein.

00:05:26: Ergo wurde das Opfer nicht in seinem Sportwagen erschossen.

00:05:29: Sprich die derzeitige gerichtsmedizinische und kriminalpolizeiliche Faktenlage dafür,

00:05:34: dass das Opfer Postmortem in seinem Sportwagen abgelegt wurde.

00:05:38: Daher nehme ich an, dass der Täter mit der Absicht gehandelt hat,

00:05:42: dass das Opfer schnellstmöglich gefunden wird,

00:05:45: während das weibliche Opfer sorgsam, wenn auch äußerst dilettantisch versteckt wurde.

00:05:50: Das war auch unsere Vermutung.

00:05:52: Und haben Sie etwas gefunden, das uns hilft, die Tatwaffe auswendig zu machen?

00:05:55: Wenn Sie mich nicht unterbrechen würden, Herr Bachmann, wären wir diesbezüglich bereits einen Schritt weiter.

00:06:00: Henning unterdrückte einen plötzlich aufkommenden Drang, loszuschreien.

00:06:05: Bei der Obduktion konnte ich feststellen, dass zwar eine Eintrittswunde vorhanden ist, aber keine Austrittswunde.

00:06:10: Und jetzt halten Sie sich fest, wir haben den Übeltäter gefunden.

00:06:15: Das Projektil wurde von der Schädel-Innendecke abgelenkt und steckte im Kieferknochen.

00:06:20: Es ist vollständig verformt, dem zufolge handelt es sich um einen Teilmantelgeschoss.

00:06:25: Ich vermute, Pistolen-Munition, 9mm Luger.

00:06:29: Revolver-Munition mit einem größeren Kaliber wie eine 44er Magnum

00:06:33: hätte vermutlich ausgereicht, um die Schädel-Decke auf der anderen Seite zu durchschlagen.

00:06:38: Ich gehe davon aus, dass uns eine ballistische Untersuchung hier Klarheit bringen wird.

00:06:42: Welches Kaliber hatte die Waffe, die ihre werte Kollegin Frau Ceylan gefunden hat?

00:06:47: 9mm Luger.

00:06:49: Hervorragend!

00:06:50: Und nun kommen wir wieder zurück zu dem Punkt, an dem Sie mich unterbrochen haben.

00:06:54: Sowohl die Tatbegehung als auch das Nachtartverhalten,

00:06:57: die in beiden Fällen stark voneinander abweichen, sprechen dafür...

00:07:01: Diesmal nutzte Henning die kurze Pause nicht,

00:07:04: sondern wartete darauf, dass Professor Dr. Zwingenberg fortfuhr.

00:07:07: ...das es mit großer Wahrscheinlichkeit mit zwei verschiedenen Tätern zu tun haben.

00:07:13: Als Merve ihr Lieblingscafé betrat, wunderte sie sich darüber,

00:07:25: dass gerade einmal die Hälfte der Tische besetzt waren.

00:07:28: Normalerweise hatte sie große Mühe, überhaupt noch einen Platz zu ergattern.

00:07:32: Guten Morgen Merve! Möchtest du dasselbe wie immer?

00:07:35: Merve blickte in das Gesicht des Kellners, der nach ihrer Erinnerung "Powl" hieß.

00:07:40: Es gefiel ihr nicht, dass er sie duzte, nur weil sie es seiner Kollegin erlaubt hatte,

00:07:44: die schon seit zwei Monaten nicht mehr in dem Café arbeitete.

00:07:47: Bisher hatte sie nichts gesagt, weil sie nicht auf Streit aus war.

00:07:50: Bisher hatte man sie aber auch noch nie von einem wichtigen Fall abgezogen

00:07:55: und gebeten, frei zu nehmen.

00:07:56: Wissen Sie was?

00:07:58: Nein, heute nehme ich mal etwas anderes.

00:08:02: Bitte bringen Sie mir einfach einen schönen schwarzen Café.

00:08:07: Und bevor Sie fragen, nein, ich möchte weder Milch noch Zucker.

00:08:13: Und dazu ein Butter Croissant, bitte.

00:08:16: Mit einem stolzen Gefühl in der Brust, machte sie auf dem Absatzkehrt

00:08:20: und setzte sich an das hintere Ende des Cafés, dorthin, wo sie ungestört war.

00:08:25: Der Kellner brachte ihr den Café und einen kleinen Teller mit dem Croissant

00:08:29: mit gesenktem Blick an den Tisch.

00:08:31: Für einen kurzen Augenblick überkam sie ein schlechtes Gewissen

00:08:34: und sie dachte darüber nach, sich zu entschuldigen.

00:08:36: Aber noch bevor sie den Mund aufmachen konnte, war er fort

00:08:40: und kümmerte sich um andere Kunden.

00:08:42: Gedanken verloren, nippte sie an ihrem Getränk

00:08:45: und überlegte, was sie mit ihren beiden Tagen Zwangsurlaub anfangen sollte.

00:08:49: Ja klar, Chefin, es ist also keine Strafe.

00:08:52: Wieso nur fühlte sich dann wie eine verdammte Strafe an?

00:08:55: Ihr Blick blieb an einer Frau hängen, die auf der anderen Seite des Cafés Platz genommen hatte.

00:09:00: Ihre braunen Haare fielen ihr über das markante Gesicht,

00:09:03: das ihr sehr bekannt vorkam.

00:09:05: Auch wenn sie es beim letzten Mal in der Abenddämmerung

00:09:08: und verborgen unter einer weiten Kapuze gesehen hatte.

00:09:11: Mit zittrigen Fingern holte sie ihr Smartphone heraus

00:09:14: und wollte gerade eine Nachricht an Henning schreiben, als sie zusammenzuckte.

00:09:18: Beim letzten Mal hatte er ihr nicht geholfen, nicht so wie sie es sich vorgestellt hatte.

00:09:23: Er hatte das Tatortkommissariat in ihrer eigene Wohnung geholt

00:09:27: und sie vor der gesamten Kriminaldirektion lächerlich gemacht.

00:09:30: Ohne ihn würde sie gerade in einem zweifachen Mord ermitteln,

00:09:33: anstatt sich die Zeit tagsüber mit einer Tasse Kaffee zu vertreiben.

00:09:37: Sie steckte ihr Smartphone zurück in die Jackentasche und lehnte sich zurück.

00:09:41: Sie musste es selbst in die Hand nehmen.

00:09:44: Eine ganze Stunde saß die Frau am Fenster und war mit ihrem Smartphone beschäftigt.

00:09:49: Mehr betat es ihr gleich, um nicht aufzufallen,

00:09:52: auch wenn sie nach wenigen Minuten bereits die lange Weile überkam.

00:09:55: Sie hatte gerade ihren dritten Kaffee bestellt, als es am anderen Ende des Cafés klingelte.

00:10:01: Merve schreckte auf und sah der unbekannten Frau dabei zu,

00:10:04: wie sie ihr Smartphone ans Ohr hielt und sich nebenbei die Jacke anzog.

00:10:08: Als sie ihre Stimme hörte, gab es für Merve keinen Zweifel mehr.

00:10:12: Vor ihr saß die vermutlich wichtigste Zeugin im gesamten Ermittlungsverfahren.

00:10:17: Hey Süßer, schön, dass du anrufst.

00:10:19: Ist alles in Ordnung bei dir? Du klingst furchtbar.

00:10:22: Klar kann ich vorbeikommen. Es wird aber noch ein wenig dauern.

00:10:26: Ich habe noch eine Kleinigkeit zu erledigen.

00:10:28: Wenige Sekunden später verschwand die Frau durch die Tür.

00:10:31: Merve sprang auf und rannte ihr hinterher.

00:10:34: Hey, du musst ... Sie müssen noch zahlen!

00:10:36: Sie ignorierte ihn und folgte der Frau auf die Straße,

00:10:39: die im Gegensatz zum Café überlaufen war.

00:10:42: Hastig blickte sie sich um und lief die Straße auf und ab,

00:10:47: aber die Frau war verschwunden.

00:10:51: Verdammter Mist!

00:10:53: Na na, wer wird denn da gleich fluchen?

00:10:55: Merve wollte sich zu der Stimme umdrehen, die hinter ihrem Rücken aufgetaucht war,

00:10:59: zu der Frau, von der sie sich hatte täuschen lassen.

00:11:02: Dann spürte sie, wie sich ein metallener Gegenstand in ihre Hüfte bohrte.

00:11:07: Neben der Angst, die in ihr aufstieg, spürte sie ihre Wut darüber,

00:11:11: dass sie die Nachricht an Henning nicht abgeschickt hatte.

00:11:14: Sie war immer noch hellwach, aber zum ersten Mal in ihrer dienstlichen Laufbahn

00:11:18: auf sich alleine gestellt.

00:11:20: Die Polizei ist also doch nicht so unfähig, wie ich immer dachte.

00:11:23: Dabei hatte ich mir so eine große Mühe mit meinem Kostüm gegeben.

00:11:27: Aber was soll's?

00:11:28: Wir beide gehen jetzt zurück ins Café.

00:11:31: Da gibt es einen schönen kleinen Inhof, in dem wir ungestört reden können.

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