00:00:00: [Musik]
00:00:21: Ja, verdammt, ich hab das Klingeln gehört.
00:00:24: [Musik]
00:00:26: Verdammte Scheiße, ich komme doch schon!
00:00:29: Henning schlurfte den engen Flur entlang,
00:00:31: riss seine Wohnungstür auf und blickte Zornig hinaus.
00:00:35: Egal, wer der unerwünschte Besucher war,
00:00:37: er sollte spüren, dass er gerade unerwünscht war.
00:00:39: Was fällt dir ein an meine Tür?
00:00:42: Ach, du bist es. Entschuldige, bitte, ich hatte eine beschissene Nacht.
00:00:46: Und wie es aussieht, auch ein echt miesen Morgen.
00:00:48: Darf ich reinkommen?
00:00:50: Henning zögerte.
00:00:51: Sein Blick fiel zurück in seine Wohnung,
00:00:53: so als hätte er etwas zu verbergen.
00:00:56: Natalie nutzte sein Zögern und huschte an ihm vorbei.
00:00:59: Mach dir mal keine Sorgen, ich bin mit zwei Brüdern aufgewachsen.
00:01:02: Mich kann nichts mehr sch-
00:01:03: Natalie verstummte.
00:01:04: Es war das erste Mal, dass sie in Hennings Wohnung war,
00:01:07: seit er sich von Lea getrennt hatte
00:01:09: und aus ihrer gemeinsamen Wohnung ausgezogen war.
00:01:12: Sie hatte erwartet, ein unendliches Chaos vorzufinden.
00:01:15: Türme aus leeren Pizzaschachteln, schmutzige Kleidung auf dem Boden,
00:01:18: einen klebrigen Fußboden.
00:01:20: Aber sie fand genau das Gegenteil vor.
00:01:22: Eine sperrlich eingerichtete ein Zimmerwohnung
00:01:25: mit einer abgesessenen Couch, einer Pantry-Küche
00:01:28: und einem Boxsack mitten im Wohnzimmer,
00:01:30: wo andere Leute ihren Wohnzimmertisch stehen hatten.
00:01:33: Ein gewaltiger Unterschied zu der gemütlichen Wohnung,
00:01:35: in der er und seine Familie zuvor gelebt hatten.
00:01:38: Als die Tür hinter ihnen ins Schloss fiel, schreckte sie auf.
00:01:41: Etwas von ihrem Ansehen Henning gegenüber war verschwunden
00:01:44: und für einen Moment hätte sie sich gewünscht,
00:01:46: vor der Tür gewartet zu haben.
00:01:48: Ja, das ist meine Bude.
00:01:50: Als ich bei Lea ausgezogen bin, habe ich die nächstbeste Wohnung genommen,
00:01:53: die in der Nähe frei war
00:01:54: und irgendwie kam ich noch nicht dazu, mir etwas Schöneres zu suchen.
00:01:57: Aber keine Sorge, man gewöhnt sich dran.
00:01:59: Im Gegensatz zu den Wohnungen, die wir sonst durchsuchen müssen,
00:02:02: ist das gerade zu traumhaft.
00:02:03: Ich habe sogar einen kleinen Balkon.
00:02:05: Henning öffnete ein bodenhohes Fenster,
00:02:08: das den Blick auf einen kleinen Vorsprung offenbarte,
00:02:11: auf dem gerade einmal ein Stuhlplatz fand.
00:02:13: Dahinter kam ein großer betonierter Innenhof zum Vorschein,
00:02:16: der ebenso wenig zum Verweilen einlut.
00:02:19: Ist alles in Ordnung bei dir? Du wirkst so...
00:02:22: Du hast dich schlagen? Enttäuscht? Verzweifelt?
00:02:25: Ich wollte apathisch sagen, aber das trifft es auch.
00:02:28: Was ist denn vorgefallen?
00:02:29: Henning bearbeitete den Boxsack für einige Zeit
00:02:32: und ignorierte Natalie so gut es ging.
00:02:34: Aber sie ließ sich nicht abwimmeln.
00:02:36: Die Schläge prasselten auf den Boxsack ein und ließen ihn erschüttern.
00:02:40: Auch in Henning schienen die Schläge etwas aufzurütteln.
00:02:43: Mit jedem seiner Treffer entran ihm eine Träne,
00:02:46: bis er es nicht mehr zurückhalten konnte und auf dem Boden zusammensackte.
00:02:50: Ich habe meine Familie verloren, Natalie.
00:02:54: Ich habe sie endgültig verloren.
00:02:56: Wegen meiner Blötheit und Ignoranz stehe ich vor einem unerträglichen Scherbenhaufen.
00:03:01: Was zum Teufel bleibt mir noch?
00:03:04: Natalie kniete sich neben Henning nieder, aber war unsicher, was sie für ihn tun könnte.
00:03:09: Also saß sie einfach bei ihm und schaute ihm dabei zu, wie er seine Trauer laufen ließ.
00:03:14: Dir bleiben Hannah und Leon, deine beiden süßen Kinder. Auch ohne Lea sind sie ein Geschenk oder nicht?
00:03:20: Henning antwortete nicht.
00:03:22: Er umklammerte seinen Boxsack und versuchte seine Tränen zu verbergen.
00:03:26: Und du hast uns?
00:03:28: Wir sind zwar nicht deine Familie, aber du bist uns allen sehr wichtig.
00:03:31: Wir brauchen dich, Henning.
00:03:33: Für einen Augenblick kehrte Ruhe ein.
00:03:35: Natalie stand auf und hoffte, dass sich ihr Kollege beruhigt hatte.
00:03:38: Aber im nächsten Moment platzte es aus ihm heraus.
00:03:41: Ach, ihr braucht mich? Bist du deshalb hier?
00:03:44: Dir geht es gar nicht um mich, sondern um deinen beschissen Fall?
00:03:48: Henning, bitte, das verstehst du vollkommen falsch.
00:03:51: Also bist du nicht hier, um mich um meine Hilfe zu bitten?
00:03:54: Natalie starte ihren Kollegen an, der plötzlich ein anderer Mensch zu sein schien.
00:03:59: Sie wollte etwas erwidern, aber entschied sich es gut sein zu lassen.
00:04:03: Entschuldige, dass ich dich gestört hab.
00:04:05: Ich gehe dann wieder. Immerhin muss ich ein Brand und drei Morder aufklären.
00:04:09: Äh, drei Morder? Hab ich etwas verpasst?
00:04:12: Natalie hatte den Türgriff bereits in der Hand und drehte sich noch einmal zu Henning um.
00:04:16: Die Schuhspurenanalyse vom LKA ist da.
00:04:19: Die Einsatzstiefel, die wir am Brandort in Taunestein gefunden haben,
00:04:22: passen zu dem Tatort in Bad Schwalbach.
00:04:24: Dann ist der Fall also gelöst?
00:04:26: Wenn du auch glaubst, dass das letzte Brandopfer der Mieter des abgebrannten Lagerplatzes ist,
00:04:31: dann wäre das so, ja.
00:04:32: Natalie öffnete die Tür und setzte zum Gehen an.
00:04:35: Henning sprang vor und hielt sie an ihrer Schulter zurück.
00:04:38: Eine Frage noch, bevor du gehst. Welcher Name ist als Mieter eingetragen?
00:04:42: Gregor Schulzer.
00:04:44: Dann verließ Natalie die Wohnung ihres Kollegen und ließ Henning mit seinen unausgesprochenen Gedanken zurück.
00:04:50: Enttäuscht ließ sich Natalie in den Fahrersitz ihres Dienstwagens fallen.
00:04:58: Auch wenn ihre Sorgen um Henning begründet gewesen waren, hatte sie unnötige Zeit verschwendet.
00:05:03: Henning war nicht gerade dafür bekannt, sich von anderen helfen zu lassen.
00:05:07: Bereits bei seiner Trennung hatte er alles mit sich selbst ausgemacht,
00:05:10: während seine Kollegen seine schlechte Laune aushalten mussten.
00:05:13: Sie konnte bereits erahnen, was in den nächsten Wochen auf sie alle zukommen würde.
00:05:18: Natalie wollte gerade ihren Wagen starten, als ihr Smartphone klingelte.
00:05:22: Auf dem Display erkannte sie die Nummer von Sylvia.
00:05:25: Sie nahm den Anruf über die Freisprechanlage an und startete den Motor.
00:05:29: Hallo Sylvia, hat Serkan dir ausgerichtet, weswegen ich nicht zur Besprechung kommen konnte?
00:05:34: Ja, hat er. Ist mit Henning alles in Ordnung?
00:05:36: Dafür, dass Lea ihn nun endgültig den Laufpass gegeben hat, hätte es schlimmer sein können.
00:05:40: Oi, da kommt einiges auf uns zu in den nächsten Wochen.
00:05:45: Aber darüber sprechen wir ein anderes Mal.
00:05:47: Ich habe gerade einen Anruf von dem Labor erhalten, das die Analysen für die Pathologie durchführt.
00:05:52: Ein Kribbeln durchströmt der Natalie's Körper.
00:05:54: Das Gefühl, dass sie Gleichbestätigung für ihre Einschätzung erfahren würde.
00:05:58: Sie schaltete den Motor ab und ließ sich von Sylvia die neuesten Erkenntnisse berichten,
00:06:03: als die Beifahrertür aufgerissen wurde.
00:06:05: Mensch, Henning, muss das sein?
00:06:06: Ist alles gut bei dir?
00:06:08: Ja, alles gut. Henning hat nur ohne Vorwarnung die Beifahrertür aufgerissen.
00:06:12: Der kann froh sein, dass ich ihn nicht erschossen habe.
00:06:14: Ich rede mit ihm noch ein ernstes Wörtchen und fahre dann los. Bis gleich, Sylvia.
00:06:18: Nachdem Natalie das Telefonat beendet hatte, wandte sie sich Henning zu.
00:06:22: Der hatte sich ins Auto gesetzt und war gerade dabei, sich anzuschnallen.
00:06:26: Äh, was genau wird das?
00:06:28: Sieht man das nicht? Ich begleite dich und helfe dir bei deinem Fall.
00:06:31: Du weißt schon, dass du müffelst, oder?
00:06:33: Jupp, aber für eine Dusche hat es nicht mehr gereicht. Die hole ich auf dem Präsidium nach. Fahren wir?
00:06:38: Natalie startete den Motor und legte den ersten Gang ein.
00:06:41: Ja, wir fahren, aber nicht zum Präsidium.
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